Datenschutz in China (Teil 1)

Ein Beitrag von Paul Schiering, Student der Rechtswissenschaften und wissenschaftliche Hilfskraft am Zentrum für multimediales Lehren und Lernen.

Einführung

WeChat, Alipay, Taobao und Weibo gehören zu den meistgenutzten Apps der Welt mit bis zu einer Milliarde Nutzern täglich. Trotzdem haben Sie noch nie von ihnen gehört? Dies liegt daran, das all diese Apps ihren Schwerpunkt auf chinesische Konsumenten gelegt haben und hauptsächlich auf dem heimischen Markt der Volksrepublik China genutzt werden.

Mit der Ausbreitung von Smartphones haben diese Apps Einzug in jeden Landesteil des Reiches der Mitte gefunden.[1] Heute bestimmen sie den Alltag des Großteils der chinesischen Bevölkerung, besonders bei jungen Chinesen sind sie gar nicht mehr wegzudenken.[2] So wird der Gründer von Alibaba – dem Konzern hinter Alipay und Taobao – Ma Yun (westlich: Jack Ma) auch gerne als Papa Ma bezeichnet.

Durch diese Allgegenwärtigkeit der Apps fällt eine Datenflut an, die unüberschaubar erscheint, die aber auch das Leben der meisten chinesischen Bürger fast in Gänze abbildet und damit wertvoll für die Werbeindustrie ist. Genauso wertvoll sind diese Daten für einen Staat der autokratisch bis diktatorisch geführt wird. Daher möchte ich aus dem Blickwinkel eines Studenten der Rechtswissenschaften, der einen sechs-monatigen Austausch nach Chongqing im Südwesten des Landes genießen durfte, das Thema Datenschutz in der Volksrepublik beleuchten.

Der erste Teil dieses Beitrages, enthält meine persönlichen Erfahrungen in China, die mit Datenschutzrecht in Zusammenhang stehen sowie eine Darstellung der Einstellung der chinesischen Bevölkerung zu diesem Thema.

Im zweiten Teil, der sich später anschließen wird, werde ich die rechtlichen Rahmenbedingungen von Datenschutz in der Volksrepublik skizzieren, um danach ein abschließendes Fazit ziehen zu können.

Persönliche Erfahrung

Zuerst möchte ich meine persönlichen Erfahrungen und Beobachtungen, die ich während meines Austauschsemesters in Chongqing gemacht habe, darstellen, um an Hand dieser aufzuzeigen, dass es unmöglich ist, seine Daten nicht auf die ein oder andere Weise einem der Internetriesen (Tencent und Alibaba) zu überlassen.

WeChat Gruppen

Neben dem Bezahlen ist auch ein universitäres Leben ohne die Apps schwer vorstellbar. Es werden z.B. alle Vorlesungsmaterialien in Gruppen auf WeChat, die absolut vergleichbar mit den im Westen üblichen WhatsApp-Gruppen sind, veröffentlicht. Jedoch werden nicht nur Vorlesungsmaterialien in diesen Gruppen veröffentlicht, sondern auch Listen, die nicht nur den Namen oder das Geburtsdatum, sondern auch die Reisepassnummer der Studierenden enthalten. Dabei gibt es keine vorherige Absprache, ob die Studierenden dies überhaupt wollen. Sie sollen anschließend kontrollieren, ob die in der Liste gemachten Angaben vollständig und richtig sind.

Bezüglich dieser Handhabung von Daten in WeChat-Gruppen würden sich nach deutschem Recht zwei Probleme stellen.

Zum einen kann ohne eine Mitgliedschaft in solch einer Gruppe faktisch kein Studium durchgeführt werden, da man anderweitig keinen Zugang zu den Vorlesungsmaterialien hätte. Dies würde nach hierzulande geltendem Recht die Legitimisierung des Veröffentlichens durch Einwilligung ausschließen.

Zum anderen ist es zur eindeutigen Identifikation ausreichend den Namen sowie das Geburtsdatum und Geburtsort zu kennen. Das Erheben und sogar spätere veröffentlichen der Reisepassnummer ist damit nicht mit dem Prinzip der Gebotenheit, wie man aus dem deutschen und nun europäischen Datenschutzrecht kennt, zu vereinbaren.

In der chinesischen Praxis scheinen solche Grundsätze keine Rolle zu spielen.

QR-Codes

Als Europäer ist man daran gewöhnt vereinzelt QR-Codes z. B. auf Werbeplakaten zu sehen, die auf die Website des Werbenden weiterleiten. In China sind diese Codes jedoch überall zu finden. Möchte man etwas bezahlen, muss man diese scannen. Möchte man Servietten aus dem Automaten in der Mensa, muss man einen QR-Code scannen. Möchte man einen Altstadtkomplex in Chongqing betreten, muss man am Drehtor zur Öffnung einen Code scannen. Will man sich auf der öffentlichen Waage in der Mensa wiegen, ist ein Code zu scannen.

Am Beispiel der Bezahlens mit dem Mobiltelefon lässt sich am besten die Wichtigkeit der QR-Codes im alltäglichen Leben zeigen. So ist es zum Beispiel schwierig mit Bank- oder Kreditkarten zu zahlen, da die passende Infrastruktur dafür fehlt . Auch Bargeld ist ungern gesehen, da viele Verkäufer Falschgeld fürchten. Also wird für jeden Kauf des täglichen Lebens, aber auch bei größeren Geschäften wie dem Kauf eines Autos auf Bezahldienste der Apps wie WeChat Pay oder Alipay zurückgegriffen. Dazu muss einfach nur der jeweilige QR-Code des Verkäufers gescannt werden. Sogar Straßenstände, die beispielsweise Obst und Gemüse oder kleine Snacks verkaufen, haben einen Code ausgedruckt an die Warenauslage geklebt.

Meistens wird dazu WeChat genutzt. Damit erhebt das dahinter stehende Unternehmen Tencent Daten wie den Ort des Einkaufes, den Namen des Anbieters, den Preis. Ferner kennt das Unternehmen durch die öffentliche Waage aber auch das Gewicht des Nutzers.

Hinzu kommt, dass es eine App in WeChat gibt, die die Schritte des Nutzers zählt und dann in einen Wettbewerb mit Freunden stellt. Dies macht Spaß und man möchte sich gegenseitig übertreffen. Es muss aber bedacht werden, dass all diese Daten von einem einzigen Konzern gespeichert und nach Belieben zusammengeführt werden können. Dadurch kann man z.B anhand des Kaufverhaltens, des Gewichtes und der täglichen Bewegung ein ziemlich genaues Bild des Gesundheitszustandes einer Person erstellen. Diese Informationen würde jede Krankenversicherung lieben.

Überwachungskameras

Sowohl im privaten als auch öffentlichen Bereich sind Überwachungskameras in sehr großen Ausmaß anzutreffen. Jede Etage des Studentenwohnheims wies im Treppenhaus eine Kamera auf. In manchen Taxis waren bis zu drei Kameras auf die Fahrgäste gerichtet. An Straßenecken, in der U-Bahn sowie an Ampeln sind die Kameras allgegenwärtig.

In den genannten Beispielen werden die Daten nicht immer von staatlicher Seite erhoben. Jedoch rühmt sich der chinesische Staat mit einer der besten Gesichtserkennungssoftwares der Welt.[3] Bedenkt man, dass ich bei jeder Einreise abwechselnd meine Fingerabdrücke oder einen Gesichtsscan abgeben musste, um immer aktuelle Daten zu liefern, könnten Behörden mit Hilfe der Gesichtserkennung Menschen extrem schnell anhand der Kameraaufnahmen identifizieren.

Dies kann auch bei privaten Kameras, wie die in den Taxis, nicht ausgeschlossen werden, da das Bildmaterial später dem Scan durch eine solche Software unterzogen werden kann.

Chinesische Freunde berichteten mir auch von einer Gesichtserkennungsapparatur, die an unserer Universität in Chongqing eingesetzt würde. Diese verbreitet sich nun an immer mehr Universitäten in der Volksrepublik.[4] Die Studierenden müssen sich vor Kursbeginn vor eine Kamera stellen. Diese ist mit einer Gesichtserkennungssoftware verbunden, die das Gesicht vor der Kamera mit vorher gespeicherten Passbildern, der für den Kurs eingetragenen Studierenden, vergleicht. Damit soll das unbemerkte Schwänzen unmöglich gemacht werden.

Im europäischen und damit auch deutschen Datenschutzrecht wäre wieder das Prinzip der Gebotenheit im Datenschutz zu berücksichtigen. Bei einem Gesichtsscan fällt eine extrem große Menge Daten an, die in diesem Fall zum Zweck der Anwesenheitskontrolle erhoben und verarbeitet werden. Diesen Zweck kann man aber auch mit profanen Unterschriftenlisten erfüllen. Dabei wird als einziges Datum nur der Name der Studierenden erhoben und greift dadurch viel weniger in den Bereich ihrer personenbezogenen Daten ein. Ein solches System wäre an deutschen Universitäten und Hochschulen undenkbar.

Akzeptanz in der Bevölkerung

Um diese Handhabung von personenbezogenen Daten besser zu verstehen, ist es hilfreich, einen Blick auf die Einstellung der chinesischen Bevölkerung zum Umgang mit ihren Daten zu werfen.

In Deutschland haben bei einer Umfrage 79% der Personen angegeben, vorsichtig zu sein, wenn es darum geht, persönliche Daten online zu teilen.[5] Damit liegen die Deutschen im Durchschnitt der Industriestaaten. In China machte diese Angabe hingegen nur die Hälfte der Bevölkerung.[6]

Interessant ist auch die Einstellung zum Teilen bestimmter Daten im Internet. Nur 28% der Chinesen denken, dass Informationen auf Social Media Plattformen vertraulich behandelt werden sollten. In Deutschland wünschen sich über die Hälfte der Befragten einen vertrauensvollen Umgang mit ihren Daten durch solche Plattformen.[7]

Der größte Unterschied jedoch besteht bei der Einstellung zum Umgang mit gesundheitsbezogenen Daten. Lediglich 38% der chinesischen Befragten gaben an, diese Informationen als privat oder sehr privat anzusehen, wohingegen in Deutschland dies 80% der Befragten bejahten.[8]

Dies deutet daraufhin, dass der laxe Umgang mit dem Thema Datenschutz nicht nur auf das hohe Interesse der Regierung am “gläsernen Bürger” zurückzuführen ist.[9] Dabei steht es außer Frage, dass Peking mit seiner Gesetzgebung auf eine umfassende Überwachung der eigenen Bevölkerung hin wirkt.[10] Vielmehr fehlt jedoch schlicht das Bewusstsein der chinesischen Bevölkerung, eigene Daten und letztlich die eigene Privatsphäre zu schützen. Dieses Klima begünstigt die großen chinesischen Technikkonzerne, die anders als ihre westlichen Pendants keine Strafen oder parlamentarischen Anhörungen fürchten müssen.

Nach meiner Erfahrung aus Gesprächen mit chinesischen Freunden würden sie diese Argumentation zwar nachvollziehen können, aber den europäischen Bedenken trotzdem nicht zustimmen. Die Datensammelwut hat nämlich oft ganz praktische Vorteile, die den Bewohnern des Reiches der Mitte viel attraktiver erscheinen, als sich mit Gedanken um den Schutz der persönlichen Daten zu beschäftigen. So kann man nun beispielsweise vollautomatisiert am Hongqiao Flughafen in Shanghai nur mit Hilfe eines Gesichtsscans einchecken.[11] Hierbei ist anzumerken, dass dies keine typisch chinesische Innovation ist, sondern schon davor in den USA und Helsinki ausprobiert wurde.[12] Unzweifelhaft beschleunigt das System das Check-In-Verfahren, was lange Schlangen und damit lange Wartezeiten verhindert. Dies führt zum Zauberwort, welches immer dann ins Feld geführt wurde, wenn ich mich über die datenschutzrechtlichen Aspekte neuer Technologien vor Freunden aufregte. Es hieß dann: “Wir verstehen dich”, aber diese Technik macht das Leben so “convenient” (deutsch: bequem/komfortabel). Unter diesem Aspekt, dass durch den Einsatz neuer Technologien das Leben erleichtert wird, nehmen viele Chinesen es gerne in Kauf gegenüber dem Staat immer transparenter zu werden.

 

Der zweite Teil dieses Artikels, der dann näher auf die rechtlichen Rahmenbedingungen des Datenschutzes in der Volksrepublik China eingeht, erscheint an dieser Stelle in zwei Wochen.

 

Quellen:

[1] We Are Social, und Hootsuite, und DataReportal; Ranking der beliebtesten Social Networks und Messenger nach dem Anteil der Nutzer in China im Jahr 2018; de.statista.com/statistik/daten/studie/505931/umfrage/reichweite-von-social-networks-in-china/; (abgerufen am 28.04.19).

[2] GlobalWebIndex; Anteil der Internetnutzer in China, die im vergangenen Monat WeChat genutzt haben, im Jahr 2015 nach Altersgruppen; de.statista.com/statistik/daten/studie/503798/umfrage/anteil-der-wechat-nutzer-an-den-internetnutzern-in-china-nach-altersgruppen/; (abgerufen am 28.04.19).

[3] Dorloff, Axel; Mit Gesichtserkennung in Richtung Massenüberwachung; https://www.deutschlandfunk.de/china-mit-gesichtserkennung-in-richtung-massenueberwachung.1773.de.html?dram:article_id=415748 (abgerufen am 20.05.2019)

[4] Theide, Lara; Universität in China: Gesichtserkennung soll Uni-Schwänzer überführen; https://www.jetzt.de/studium/universitaet-in-china-gesichtserkennung-soll-uni-schwaenzer-ueberfuehren; (abgerufen am 08.04.2019).

[5] Rose, John/Barton, Christine/Souza, Rob/Platt; James; Data Privacy by the Numbers; https://www.bcg.com/publications/2014/data-privacy-numbers.aspx; (abgerufen am 08.04.19).

[6] ibid.

[7] ibid.

[8] ibid.

[9] Beispielhaft: Unbekannt; Überwachung in China: 364 Millionen Chats und Social-Media-Daten aus Internetcafés geleakt; https://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/china-riesiges-datenleak-offenbart-ueberwachung-von-internetcafes-a-1256782.html; (abgerufen am 28.04.19).

[10] Siehe: Alsabah, Nabil; China: Peking will gläserne Unternehmen; https://www.zeit.de/politik/ausland/2017-03/netzpolitik-china-cybersicherheit-zensur-internet; (abgerufen am 08.04.19).

[11] Coffey, Helen; Shanghai Airport launches China´s first Security Clearance System using Facial Recognition; https://www.independent.co.uk/travel/news-and-advice/shanghai-airport-facial-recognition-security-clearance-system-china-a8587871.html; (abgerufen am 08.04.19).

[12] ibid.

2 Gedanken zu „Datenschutz in China (Teil 1)“

Schreibe einen Kommentar