Am Dienstag, den 19. November 2013 fand die 7. Göttinger Urheberrechtstagung in der Paulinerkirche Göttingen statt. Das Programm umfasste in diesem Jahr die neu verabschiedeten Regelungen zu verwaisten und vergriffenen Werken, das unabdingbare Zweitverwertungsrecht für Autoren wissenschaftlicher Veröffentlichungen, urheberrechtliche Fragen zu Datenbanken und Repositorien und das Leistungsschutzrecht von Presseverlegern. Michael Weller hat dankenswerterweise seine ausführlichen Mitschriften zu den einzelnen Beiträgen hier online zur Verfügung gestellt.
Aus Sicht derjenigen, die im Bildungsbereich mit E-Learning befasst sind, war die Podiumsdiskussion zum Thema „Erfahrungen bei der Lizenzierung gem. § 52a UrhG“ von besonderem Interesse. § 52a UrhG ist eine Schrankenregelung des Urheberrechts, die es Bildungseinrichtungen erlaubt, zu Unterrichtszwecken in bestimmtem Umfang Teile von Werken öffentlich zugänglich zu machen. Der Paragraph enthält viele Einschränkungen und betrifft in der Praxis z. B. das Einscannen von Seiten aus einem wissenschaftlichen Werk, die dann Studierenden auf der hochschuleigenen Lernplattform zur Verfügung gestellt werden. (Ausführlichere Informationen zu den Regelungen des § 52a UrhG finden Sie im Beitrag „§ 52a UrhG wird bis 2014 verlängert“ auf diesem Blog.)
Derzeit sind zwei für den Umgang mit § 52a UrhG wichtige Gerichtsverfahren anhängig. Zum einen streitet die VG Wort mit den Bundesländern über den Abschluss eines Gesamtvertrags über die Gebühren, welche für die Nutzung von Werken durch Hochschulen im Rahmen des § 52a UrhG von den Ländern an die Verwertungsgesellschaften zu zahlen sind. Im März hatte der BGH das Verfahren zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG München zurückverwiesen. Unter anderem hielt der BGH es nicht für nachvollziehbar, warum die Regelungen von denen abwichen, die in einem ähnlichen Gesamtvertrag für die Nutzung von Werken durch allgemeinbildende Schulen getroffen worden waren. Außerdem hielt er es nicht für angemessen, dass für die Vergütung pauschal der Werkteil und nicht die konkrete Seitenzahl und Anzahl der Studierenden mit Zugriff auf diese als Berechnungsgrundlage angenommen wurde. Nicht beanstandet wurde der Betrag von 0,8 Cent pro Seite und Studierendem und der sog. „Vorrang vertraglicher Vereinbarungen“, demzufolge § 52a UrhG nur dann von Lehrenden herangezogen werden kann, wenn nicht der Verlag ein angemessenes, mit der Digitalisierung einzelner Seiten eines Werkes vergleichbares Angebot bereithält, z. B. Angebot des kostenpflichtigen Downloads einzelner Beiträge einer Zeitschrift.
Das andere Verfahren, das zur Zeit beim Bundesgerichtshof anhängig ist (mündliche Verhandlung am Donnerstag, 28. November 2013), betrifft einen Rechtsstreit zwischen der Fernuniversität Hagen und dem Alfred Kröner Verlag. Im Rahmen eines Psychologiekurses waren 91 Seiten eines Fachbuchs den 4.500 Studierenden, die in diesem Kurs eingeschrieben waren, als Download auf der universitären Lernplattform zur Verfügung gestellt worden. Als Ergebnis wird von diesem Verfahren die Klärung zweier Fragen erwartet. Zum einen geht es darum, ob das Vorgehen der Fernuni Hagen generell von § 52a UrhG gedeckt ist, zum anderen sollte festgestellt werden, ob im Rahmen von § 52a UrhG Materialien auch zum Download und/oder Ausdrucken zur Verfügung gestellt werden können oder ob nur das Anzeigen auf dem Bildschirm erlaubt ist.
An der Podiumsdiskussion nahmen Prof. Dr. Gerald Spindler als Gastgeber, Prof. Dr. Gabriele Beger (SUB Hamburg), Prof. Dr. Rainer Kuhlen (Aktionsbündnis Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft) und Dr. phil. Christian Sprang (Börsenverein des deutschen Buchhandels e.V.) teil. Frau Prof. Dr. Beger gab einführend einen Überblick über die Regelung des § 52a UrhG. Sie wies auf den vorgesehenen „Vorrang vertraglicher Vereinbarungen“ hin und kritisierte die nutzungsgenaue Abrechnung als kaum realistisch. Sie skizzierte in ihren Ausführungen ein Bild von Lehrenden, die zu jeder einzelnen Verwendung von digitalisierten Werken im Internet bereitgestellte Formulare mit den nötigen Daten ausfüllen müssten, um die Nutzung anzuzeigen. Sie kam zu dem Ergebnis, dass die Regelung des § 52a UrhG aufgrund mangelnder Expertise bei den einzelnen Nutzern und auch den schwer zugänglichen Informationen, z. B. Vorliegen einer Lizenz bei der jeweiligen Universitätsbibliothek oder eines vergleichbaren digitalen Angebotes des Verlages, zwar nicht überflüssig, aber in der vorliegenden Form untauglich und damit nicht anwendbar, weil nicht rechtssicher sei.
Dr. Sprang vom Börsenverein des deutschen Buchhandels sah dementgegen den Paragraphen grundsätzlich als verfehlt und überflüssig an. Er favorisierte eine marktwirtschaftliche Lösung der Lizenzierung von Schriftwerken und verwies auf die Praxis in Australien und den USA, wo wissenschaftliche Artikel jederzeit leicht über Internetportale für die eigene Nutzung lizenziert werden könnten. Er ist der Meinung, dass im Gegensatz zu OER marktwirtschaftliche Lizenzierungsmodelle dazu beitrügen, die Qualität von Bildungsmaterialien zu sichern. Er erhielt darin Unterstützung durch eine Wortmeldung aus dem Publikum, die feststellte, dass Lizenzgebühren Innovationen erst ermöglichten und diese nicht verhinderten.
Prof. Dr. Kuhlen, der anstelle des verhinderten Frithjof Maennel, Ministerialrat beim Bundesministerium für Bildung und Forschung, an der Diskussion teilnahm, erklärte in sehr klaren Worten, dass Lizenzen kein Naturgesetz seien, sondern ein gesellschaftliches Konstrukt, dass also die Annahme, jede Nutzung müsse vergütet werden, nicht zwangsläufig sei. Er machte deutlich, dass die Existenz von OER die Verlage wissenschaftlicher Fachliteratur nicht daran hindere, eigene neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Bezugnehmend auf Prof. Begers Aussage, § 52a UrhG sei in der vorliegenden Form nicht anwendbar, ergänzte er dahingehend, dass die Vergütung allenfalls pauschal berechnet werden könne. Die nutzungsorientierte Abrechnung dem Urteil des BGH entsprechend sei lebensfremd.
Interessant war die Wortmeldung von Dr. Steinhauer von der Universitätsbibliothek Hagen aus dem Publikum, der § 52a UrhG als Ausgleich zur Preispolitik der Verlage sah. Die geforderten Vergütungen seien völlig außer Relation zum geleisteten Beitrag (digitale Bereitstellung eines existierenden Schriftwerkes). Daraufhin wurde anhand des Streitfalls Fernuniversität Hagen ein Rechenbeispiel für die Kosten gegeben, die auflaufen würden, sollte eine nutzungsgenaue Abrechnung mit zugrunde gelegten 0,8 Cent pro Seite und Studierendem erfolgen. Für den Fall der Fernuniversität Hagen ergäbe sich dadurch eine Gebühr von 3.276 €. Demgegenüber steht der Preis von 25 € pro Stück der Printausgabe des betroffenen Werkes. Der recht hohe Betrag ist hier auch der sehr hohen Kursgröße an der Fernuniversität geschuldet. 4.500 Studierende pro Kurs sind an einer Präsenzuniversität nicht üblich, die Beträge würden sich jedoch durch die Vielzahl der Kurse und genutzten Werke schnell summieren.
Prof. Beger beendete die Diskussion zuversichtlich mit der Hoffnung, dass sich nach einer Zeit der Unsicherheit hinsichtlich der digitalen Nutzung existierender Werke nun eine Phase der Gestaltung anschließe.