Die Schranken des Urheberrechts für Bildung und Wissenschaft – Podiumsdiskussion zum Regierungsentwurf des UrhWissG

Am 11. Mai 2017 fand an der Martin-Luther-Universität bereits zum vierten Mal die Podiumsdiskussion zu aktuellen Entwicklungen des Urheberrechts statt. Die von Prof. Dr. Malte Stieper und dem Ministerium für Justiz und Gleichstellung des Landes Sachsen-Anhalt organisierte Veranstaltung konzentrierte sich in diesem Jahr auf den von der Regierung vorgelegten Entwurf eines Gesetzes zur Angleichung des Urheberrechts an die aktuellen Erfordernisse der Wissensgesellschaft (UrhWissG), welcher die urheberrechtlichen Schranken für Bildung und Wissenschaft novellieren soll. Besondere Aktualität erlangte die Diskussion vor dem Hintergrund, dass der darauffolgenden Tag der Bundesrat seine Stellungnahme zum UrhWissG abgab.

Es diskutierten Prof. Dr. Malte Stieper (Inhaber der Gundling-Professur für Bürgerliches Recht, Recht des geistigen Eigentums und Wettbewerbsrecht, MLU Halle-Wittenberg), Prof. Dr. Katharina de la Durantaye (Humboldt-Universität zu Berlin), Prof. Dr. Haimo Schack  (Christian-Albrechts-Universität zu Kiel) und Prof. Dr. Eric W. Steinhauer  (Fernuniversität Hagen). Julia Reda (Mitglied des Europäischen Parlaments, Mitglied im Rechtsausschuss, Stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz, Piratenpartei), die die europäische Perspektive in die Diskussion einbrachte, war per Videokonferenz in die Aula im Löwengebäude aus Brüssel zugeschaltet. Frank-Michael Fruhner vom Landesministerium für Justiz und Gleichstellung führte durch die Diskussion.

Prof. Stieper skizzierte in seinem Impulsvortrag die aktuelle Situation hinsichtlich des Bemühens um eine Neuordnung der Schranken des Urheberrechts für Bildung und Wissenschaft. Dabei betonte er, dass es nicht mehr in Frage stünde, ob eine solche Regelung erfolgen müsse, sondern nur noch, wie diese konkret im Gesetz umgesetzt werden können. Im Gespräch war die Umsetzung in Form einer Generalklausel in Anlehnung an die Fair Use-Doktrin des US-amerikanischen Rechts mit einer Ergänzung um Regelbeispiele (so Prof. de la Durantaye in ihrem Gutachten „Allgemeine Bildungs- und Wissenschaftsschranke“). Alternativ wurde diskutiert, konkrete Regelungen einzelner Tatbestände vorzunehmen, die aber um eine technologie- und zukunftsoffene Auffangklausel für mehr Flexibilität ergänzt werden sollten (so z. B. Prof. Schack, Urheberrechtliche Schranken für Bildung und Wissenschaft, ZUM 2016, 216ff.).

Auf EU-Ebene sieht der Entwurf für eine Richtlinie über das Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt nur eine schmal gehaltene Ausnahme für grenzüberschreitenden, digitalen Unterricht vor und spart die Forschung komplett aus. Der Entwurf des UrhWissG geht demgegenüber weiter, enthält jedoch auch inkonsistente Regelungen.

Prof. de la Durantaye lobte den Regierungsentwurf als handwerklich gut gemacht und verlieh ihrer Hoffnung Ausdruck, dass der Entwurf trotz aller änderungswürdigen Kritikpunkte noch in dieser Legislaturperiode umgesetzt würde. Sie kritisierte den Entwurf in mehreren Punkten. Zum einen hält sie die Regelungsmethode für ungeeignet, da der Einzelregelung Vorzug vor einer Generalklausel gegeben, gleichzeitig aber auf eine Öffnungsklausel verzichtet wurde. Des Weiteren sei die Regelung zum Text- und Data-Mining (§ 60d UrhWissG) fragwürdig, da das Durchsuchen („Mining“) von Daten urheberrechtlich nicht relevant und zum anderen die Schranke ausschließlich für den nicht-kommerziellen Gebrauch vorgesehen sei. Weitere kritikwürdige Punkte sind ihrer Meinung nach die Regelung zum Verhältnis von Schranken zu Vertragsvereinbarungen (§ 60h UrhWissG), die in der vorgeschlagenen Fassung zu hoher Unsicherheit insbesondere bei der Vergütungsabrechnung führen kann, und die Festlegung des Umfangs der erlaubten Nutzungen auf feste Prozentzahlen, da in Einzelfällen (z. B. Plagiatskontrolle) die Vervielfältigung des gesamten Werkes notwendig sein kann. In Bezug auf die Vergütungsregelung begrüßte sie, dass ein mögliches Korrektiv in Form der Abrechnung nach Stichproben eingefügt wurde.

Prof. Schack hielt dem Regierungsentwurf zugute, dass eine Regelungstechnik in Form konkreter Einzeltatbestände gewählt wurde, monierte aber ebenso wie Prof. de la Durantaye die fehlende Öffnungsklausel. Er sprach sich im Interesse der Urheber an der Sicherung einer angemessenen Vergütung für die Nutzung des Werkes (§ 11 Satz 2 UrhG) für eine konkrete Regelung auch auf europäischer Ebene aus, insbesondere um eine möglichst hohe Rechtssicherheit zu erreichen. Er hielt es für sinnvoll, die Regelungen als „Schranken erster Klasse“ auszugestalten, die als Rechte des Anwenders zu formulieren seien, damit sie nicht durch den Einsatz technischer Schutzvorrichtungen konterkariert werden könnten. Es sei insbesondere sinnvoll, die Handlungen des Verlinkens, der Erstellung von Thumbnails und Snippets sowie das Text- und Data-Mining als urheberrechtlich nicht relevante Handlungen anzusehen.
Hinsichtlich der Pauschalvergütung zeigte er keine Sympathie für Hochschulen, sondern betonte, dass eine Einzelabrechnung sachgerecht sei und nur dadurch die Vergütungsansprüche der Rechteinhaber gesichert würden.

Frau Reda stellte die Regelung zur Verwendung urheberrechtlich geschützten Materials im grenzüberschreitenden digitalen Unterricht im Entwurf einer europäischen Urheberrechtslinie dar. Sie äußerte ihr Bedauern darüber, dass hierbei die Forschung komplett ausgeklammert und auch eine analoge Nutzung nicht gesehen worden sei. Dies sei jedoch vor dem Regelungsziel eines einheitlichen Binnenmarktes verständlich. Hinsichtlich der Vergütungsregelung im Regierungsentwurf des UrhWissG stellte sie fest, dass fast alle europäischen Länder eine Bildungsschranke kennen und knapp die Hälfte der Länder für diese Nutzungen keine Vergütung vorsieht. Insofern hielt sie das UrhWissG für noch recht konservativ und kritisierte gleichzeitig, dass die EU es den Ländern freistellt, überhaupt eine solche Schranke einzuführen. Im Rahmen der Diskussionen um die vorgeschlagene Richtlinie sei insbesondere auch das Text- und Data-Mining ein Thema. Dabei sei ihrer Meinung nach eigentlich noch nicht geklärt, ob es sich überhaupt um eine urheberrechtlich relevante Handlung handele. Sie sah hier die Gefahr, dass die Einführung einer Schranke, die Text- und Data-Mining für Wissenschaft und Forschung erlaubt, zu dem Umkehrschluss führen könnte, dass Text- und Data-Mining für die kommerzielle, privatwirtschaftliche Nutzung nicht erlaubt sei.

Prof. Steinhauer ergänzte, dass seiner Meinung nach das Verlangen der Verlage nach einer Einzelabrechnung für digitale Semesterapparate einem „Selbstmord mit Ansage“ gleichkäme, da der zu hohe Verwaltungsaufwand zu einem Ausweichverhalten in der betroffenen Lehre führen würde. Dort würde auf selbstproduziertes oder im Internet frei verfügbares Material oder Material zu günstigeren Lizenzbedingungen zurückgegriffen werden. Kleine und mittlere Wissenschaftsverlage würden dadurch an Sichtbarkeit und letztlich Umsatz verlieren. Dies sei ein Argument für eine pauschalierte Vergütungsregelung. Er verglich hierbei die Einzelvergütung mit der minutengenauen Abrechnung im Mobilfunkbereich, die inzwischen fast vollständig den Flatrates gewichen ist. Hier sei eine Anpassung der Geschäftsmodelle seitens der Verlage notwendig.
Zwei Punkte hielt er am Entwurf des UrhWissG für überdenkenswert: zum einen könnte die durch § 60d (Text- und Data-Mining) in einem kleinen Bereich erlangte Rechtssicherheit zu ungewollten „Kollateralschäden“ in anderen Bereichen führen. Zum anderen falle aus Sicht des Bibliothekswesens auf, dass nach dem Entwurf die Fernleihe nur noch zu nicht kommerziellen Zwecken erlaubt sei, was Freiberufler und Privatunternehmen jeglicher Art, die auf dieses Angebot derzeit zurückgreifen, von der Nutzung ausschlösse.

Auf eine Anmerkung aus dem Publikum hin wandte sich die Diskussion verstärkt der Regelung in § 60g des Regierungsentwurfs zu. Hierbei wurde deutlich, dass noch keine Einigkeit herrscht, wie vertraglich vereinbarte Lizenzen, z. B. Creative Commons, im Verhältnis zu der Schrankenregelung zu behandeln seien und dass es in diesem Zusammenhang zu Schwierigkeiten bei der Vergütungsausschüttung kommen kann, da die Vergütung aus den Schranken dem Urheber zustehen, die aus den Lizenzen jedoch möglicherweise einem anderen Rechteinhaber.

Außerdem wurde die Frage aufgeworfen, wie sich sicherstellen ließe, dass Werke entsprechend ihrer Bekanntheit und Nutzungshäufigkeit an der Ausschüttung beteiligt würden. Prof. Schack schlug dazu ein Punktesystem analog dem System der Musikwirtschaft vor, während Prof. de la Durantaye auf die Möglichkeit von Stichproben verwies, deren Ergebnisse auch für Ausschüttung durch die zuständigen Verwertungsgesellschaften herangezogen werden könnten.

Die abschließende Frage nach den Wünschen an die Rechtspolitik beantwortete Prof. Schack dahingehend, dass vor dem Hintergrund der Schaffung eines europäischen Binnenmarktes statt nationaler Schranken mittelfristig die Regelung eines einheitlichen europäischen Urheberrechts in Angriff genommen werden müsse. Prof. Steinhauer hofft auf eine ruhigere Debatte mit weniger Zeitdruck und der Möglichkeit, die angedachten Neuregelungen ausführlicher mit allen Interessensgruppen zu diskutieren, um quasi zwangsläufige Verfahren vor dem BGH zu vermeiden. Prof. Stieper stimmte dem Wunsch nach einem einheitlichen europäischen Urheberrecht zu, sofern sichergestellt werden könne, dass es wohldurchdacht ist, insbesondere da aktuell der deutsche Entwurf zum UrhWissG dem Entwurf der europäischen Richtlinie noch um einiges voraus sei. Auch Julia Reda hielt eine einheitliche europäische Regelung für wünschenswert, machte aber nicht viel Hoffnung, dass die EU im Augenblick in der Lage ist, dies umzusetzen.

Insgesamt schien Einigkeit darüber zu bestehen, dass eine Neuregelung der Schranken für Bildung und Wissenschaft notwendig ist und die vorgeschlagenen Regelungen im Großen und Ganzen gelungen sind. Hauptdiskussionspunkte blieben das Verhältnis von Lizenzvereinbarungen zu Schrankenregelungen und die urheberrechtliche Behandlung des Text- und Data-Mining.

 

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