Es wird nur das gelernt, was auf den Folien steht

Das Vorurteil hört man gar nicht so selten: Studierende lernen die in der Vorlesung gezeigten und in die Lernplattform eingestellten Folien, aber nichts anderes mehr. Dabei sollen sie doch Ihr Wissen auch anwenden, einen Zustand analysieren oder einen Prozess evaluieren können. Stattdessen werden Folien auswendig gelernt und die Ursache dieser Entwicklung sei die Digitalisierung der Lehre.

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Death By Presentation (Frits Ahlefeldt-Laurig, CC 2.0 by nc nd)

Aber wenn das Auswendiglernen von Folien für eine Klausur ausreicht, sollte man den Studierenden keinen Vorwurf machen, denn effizientes und zielgerichtetes Lernen wird oft genug als Erwartungshaltung an sie herangetragen. Und wenn eine Prüfung tatsächlich nur dieses Wissen abfragt ist die rationale Handlung das Auswendiglernen der Folien. Warum mehr Zeit ins Lernen investieren, wenn andere Lernziele gar nicht gefragt sind?

Dabei müssen Folien nicht exakt alles enthalten, was Lehrende im Präsenzunterricht den Studierenden nahe bringen wollen. Abgesehen von grundsätzlichen Hinweisen für ansprechende Präsentationen (hier ein durchaus ernst gemeinter Klassiker) können Lehrende sehr wohl steuern, was wann und wo gelernt wird. Lern-Management-Systeme wie ILIAS unterstützen z.B. viele unterschiedliche und sich gegenseitig ergänzende Lehrmethoden auch für eine Vorlesung. Blogs, Wikis, Portfolios, Übungsaufgaben und gesteuerte Gruppenaktivitäten ermöglichen somit auch andere Stufen der Lernzielhierarchie. In Kombination mit anderen Materialien, kleineren Lerneinheiten, kreativen Aufgaben und Selbstevaluierungen, vielleicht auch auf Basis einer aufgezeichneten Vorlesung, steht Studierenden dann ein ganzer Lernraum zur Verfügung, der auch zu einer höheren Selbstverantwortung gegenüber dem eigenen Lernen führen kann – sofern er von den Lehrenden darin begleitet und unterstützt wird.

Andererseits: Auch aus Sicht der Studierenden mag die Folienlernerei der einfachere Weg sein, im Netz gibt es dazu Seiten voller Strategien und Optimierungsratschläge (und sehr viele Frustbeiträge). Zweifellos müssen bestimmte Begriffe, Formeln oder Namen schlichtweg eingeprägt werden. Aber wenn dies das Ziel ist – braucht man dafür eine Präsenz-Universität?

Also: Wer Powerpoint-Folien als alleinige Lernquelle ausschließen möchte kann dies sehr wohl beeinflussen. Gerade das Einstellen zusätzlicher Materialien und die Einbeziehung ergänzender Online-Aktivitäten in den Lernprozess wird durch die Digitalisierung erheblich erleichtert. Formulierte Lernziele zeigen den Studierenden zugleich, was inhaltlich von ihnen erwarten wird, ohne den zu prüfenden Stoff exakt vor- und aufzuschreiben. Aber das ist, zugegeben, mehr Arbeit für Lehrende und Lernende.

Grafik: Frits Ahlefeldt-Laurvig, CC 2.0 by nc nd
Teil 3 der Serie „Vorurteile“ (Teil 1, Teil 2)

Wird es mit der Digitalisierung weniger Lehrende geben?

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Chemistry Day (cc by nc Penn State)

Nein. Jeder Blended-Learning-Kurs braucht auch Lehrende für die Erstellung und Betreuung der Online- und Präsenzanteile. Gute Lehre kommt ohne Lehrende nicht aus, egal auf welcher technischen Basis sie steht. Zugegeben, wenn die klassische Vorlesung tatsächlich aus dem Ablesen eine Scriptes besteht und diese Veranstaltung nur aufgezeichnet wird, hat sie potentiell eine unbegrenzte Reichweite. Da liegt die Idee nahe, die immer gleichen, grundständigen Vorlesungen mit einer didaktisch besonders begabten Koryphäe einmal abzufilmen und dann allen Studierenden des Faches zur Verfügung zu stellen. Was technische machbar ist (und bei einschlägigen Fachbüchern durchaus die Regel ist)  muss aber nicht unbedingt zum jeweiligen Profil des Studiengangs passen. Zudem ersetzt die Vorlesung nicht den Rest des Studiums, sie nimmt in der Gesamtschau zwar eine wichtige, aber insgesamt eher kleine Rolle ein. Das Lernen findet doch eher anderswo statt.
Weniger Lehrpersonal gilt erst recht nicht für die Präsenz- oder Online-Seminare, also jenen Veranstaltungsformaten, die ohne ausreichende Betreuung gar nicht zu realisieren sind. In den Anfängen der großen xMOOC’s haben manche Online-Universitäten gerade dies vernachlässigt und mussten sich schnell korrigieren.
Auf den Personalschlüssel einer Präsenz-Hochschule hat die Digitalisierung ohnehin wenig Einfluss, hier sind andere Faktoren wie z.B. die Anzahl der Studiengänge deutlich mächtiger. Klar ist aber auch: Online-Lehre ist aufwändig und nicht voraussetzungslos. Hierfür erforderliche Haushaltsmittel werden anderswo fehlen und sind nur zu rechtfertigen, wenn damit die Qualität der Lehre tatsächlich steigt.

Foto: Penn State, CC by nc
Teil 2 der Serie „Vorurteile“ (Teil 1)

Vorlesungsaufzeichnungen – fünf Fragen, fünf Antworten

Seit einiger Zeit lassen Lehrende Mitschnitte ihrer Vorlesungen/Seminare erstellen, um sie Studierenden als Ergänzungsangebot zur Präsenzlehre anzubieten. Einige Akteure stellen sich die Frage nach dem Mehrwert dieser Aufnahmen. In diesem Blogbeitrag werden fünf Fragestellungen mit Ergebnissen aus verschiedenen Studien versucht zu beantworten.

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1. Bleiben die Studierenden der Vorlesung fern?

Viele Lehrende vermuten einen Rückgang der Hörer in Präsenzveranstaltungen durch den Einsatz der Vorlesungsaufzeichnungen. In der Umfrage an der MLU stimmten nur 17,3 % der befragten Studierenden der Aussage zu oder völlig zu: „Ich sehe mir die Vorlesungsvideos an, statt die Veranstaltung zu besuchen“. Dieses Ergebnis stimmt mit den Befragungsergebnissen anderer Hochschulen überein.

FAZIT: Die Ergebnisse verschiedener Studien deuten darauf hin, dass die Hörerzahlen zwar etwas zurückgehen, aber ein breites Wegbleiben der Studierenden nicht zu befürchten ist (Tillmann/Bremer/Krömker, 2012).

2. Sind Nutzertypen erkennbar?

Die Ergebnisse verschiedener Befragungen (MLU, 2013; Rust/Krüger, 2011) deuten auf drei Nutzertypen hin:

  • 28% der Probanden an der MLU waren im SoSe 2013 „Non-Users“, da sie das Angebot, Vorlesungsaufzeichnungen anzusehen, nicht wahrnahmen.
  • 40% der Probanden lassen sich unter „Occasional-Users“ zusammenfassen. Sie gehen zur Vorlesung und nutzen gelegentlich Vorlesungsaufzeichnung.
  • 32% gaben an, häufiger die Vorlesungsaufzeichnung anzusehen. Somit gehören sie zur Gruppe der „Intensiv-Users“.

 3. Haben Vorlesungsaufzeichnungen eine lernförderliche Wirkung auf Studierende?

In der Studie von Rust/Krüger (2011) haben 92,7% der Studierenden (n=468) der Aussage zugestimmt: „die Aufzeichnung der Lehrveranstaltung unterstützte mich beim Lernen.“ Die Studierende der MLU (2013) haben als Motive insbesondere das individuelle Lernen, die Heterogenitätsmerkmale und die Motivation hervorgehoben.

4. Hat das Veranstaltungskonzept eine Auswirkung auf die quantitative Nutzung der Vorlesungsaufzeichnungen?

Rust/Krüger (2011) haben eine LOG-FILE-Analyse (Auswertung der Serverdaten) an Vorlesungen mit unterschiedlichen Konzepten durchgeführt.

  • Veranstaltungen mit einer formativen Studienleistung (z.B. Vorlesung mit obligatorischen Anteilen) verzeichneten eine steigende Anzahl der Abrufe eines Videos immer vor einer obligatorischen Hausaufgabe.
  • Dagegen wurde eine ansteigende Nutzung der Videos bei einer Veranstaltung mit summativer Studienleistung erst zum Semesterende gemessen. Dieses deutet auf einen Anstieg der Nutzung in der Prüfungszeit hin.

FAZIT: Vorlesungsaufzeichungen generieren nicht für jedes Lehrveranstaltungskonzept den gleichen Mehrwert.

 5. Haben Vorlesungsaufzeichnungen Auswirkungen auf den Vortrags- und Lehrstil?

Einige Lehrende haben Bedenken, dass sich ihr Vorlesungsstil durch die Aufzeichnungen verändert. Diese Situation konnte weder in der MLU Studie (2013) noch in der Rust/Krüger-Studie (2011) bestätigt werden. Rust/Krüger konnten in Interviews herausfinden, dass Lehrende über Kleidungsstil, Gestik/Mimik und Folien bei der Vorlesungsaufzeichnung nachdenken (2011).

 

Literatur

Rust, I., Krüger, M. (2011): Der Mehrwert von Vorlesungsaufzeichnungen als Ergänzungsangebot zur Präsenzlehre. In: Köhler, T., Neumann, J. (Hrsg.) Wissensgemeinschaften. Digitale Medien – Öffnung und Offenheit in Forschung und Lehre. Waxmann Verlag, Münster.

Tillmann, A., Bremer, C., Krömker, D. (2012): Einsatz von E-Lectures als Ergänzungsangebot zur Präsenzlehre. Evaluationsergebnisse eines mehrperspektivischen Ansatzes. In: G. Csanyi, F. Reichl, A. Steiner (Hrsg.): Digitale Medien –Werkzeuge für exzellente Forschung und Lehre. Waxmann Verlag, Münster.