Warum Medienkompetenz nicht gleich Medienkompetenz ist

cc_2_0_by_stevendepolo
CC 2.0 by stevendepolo

Gegen Medienkompetenz von Schülerinnen und Schülern hat eigentlich niemand etwas, im Gegenteil. Selten wird etwas so einmütig gefordert wie mehr Kompetenzen insbesondere im Umgang mit den „neuen Medien“, den „neuen“ sozialen Netzwerken, dem Internet im Allgemeinen und dem Datenschutz im Besonderen.
Nicht selten ist in diesem Zusammenhang die Verwendung des Attributes „neu“ nach 20 Jahren schon so alltäglich geworden, dass man es genau so wenig hinterfragt wie die Medienkompetenz selbst, die nach klassischen Maßstäben natürlich auch Medien wie Radio und Fernsehen und selbst die Printmedien mit einschließt.

Aber wer von Medienkompetenz spricht, könnte (ganz abgesehen von unterschiedlichen inhaltlichen Definitionen) zwei sehr verschiedene Dinge im Kopf haben: Zum einen die Medienkompetenz als  „Ermöglichungspraxis“ für eine selbstbestimmte und kompetente Nutzung der angebotenen Dienste, für ein Leben quasi „im und mit dem Netz“, als Ort der persönlichen Kommunikation, des Austausches und nicht zuletzt auch des Lernens im Umgang mit dem Medium selbst. Zum anderen das eher angstgetriebene Verständnis von Medienkompetenz als Gefahrenabwehr und Zugangsvoraussetzung, als Bollwerk gegen Computerkriminalität, Cybermobbing und Datenklau, in dem man vom Internet als Nicht-Informatiker besser die Fänger lässt.

Aber gehört beides nicht zusammen? Ist das Ideal nicht wie stets in der Mitte zu finden und könnte man die beiden extremen Meinungen nicht als Randphänomene abtun?

Eher nicht, denn es sind eben keine gleichwertigen Positionen, die nur von einem vermuteten Durchschnitt abweichen. Wer Angst, Abwehr und Gefahren in den Vordergrund rückt, verpasst nahezu zwangsläufig die Chancen der kompetenten Teilhabe. Wenn eine Landesregierung beispielsweise Lehrenden die berufliche facebook-Nutzung verbietet, dann ist facebook im Unterricht grundsätzlich nicht einsetzbar, die entsprechende Kompetenz kann also gar nicht ausgebildet werden. Eine Verbotsmentalität vermittelt keine Kompetenz, es verlagert nur den Ort.
Nur wer umgekehrt auf eine ermöglichende Medienkompetenz setzt, neben den Chancen auch die Gefahren kennt (aber mit ihnen umzugehen weiß) und Kompetenzen als „handelnden Umgang mit Wissen“ begreift, kann alle Aspekte mit einschließen.
Mit Risiken können wir umgehen, Gefahren sind wir ausgeliefert. Genau darum brauchen wir mehr Medienkompetenz, wobei es aber nicht ausreicht, diese immer wieder nur zu fordern. Hier gibt es klare Verantwortlichkeiten: für die Lehramtsausbildung sind es die Hochschulen, in den Schulen die Lehrerinnen und Lehrer, im Bereich der Lehrerweiterbildung die entsprechenden Landesinstitutionen. Worauf noch warten?

Technologische und didaktische Innovationen

Innovation
Abbildung: thinkpublik, lizenziert unter cc-by-nd-2.0

Im Vorfeld von Kongressen und Veranstaltungen, die bereits im Titel ihre bildungstechnologische Ausrichtung klarstellen, scheint eine kurze Reflexion bezüglich Innovation lohnend. Dem geläufigen Innovationsverständnis nach sind Innovationen gekennzeichnet durch ihre Neuartigkeit gegenüber einem vorangegangenen Zustand, durch die Wahrnehmbarkeit infolge ihrer Umsetzung sowie durch die Unsicherheit hinsichtlich ihres Erfolges. Innovation wird in Abhängigkeit des betroffenen Gegenstandsbereichs und seiner Akteure unterschiedlich wahrgenommen. In der Hochschule erleben wir eine technologische Prägung von Szenarien, Methoden und Akteuren des Lehren und Lernens. E-Learning scheint per se als innovativ zu gelten. Grund genug, nach didaktischen Innovationen zu fragen.

Reinmann-Rothmeier schlägt die Brücke in den Bildungskontext und bringt den Begriff der didaktischen Innovation ins Spiel. Gemeint sind organisatorische, inhaltliche oder methodische Neuerungen des Lehrens, die aufgrund einer merklich veränderten Wissensvermittlung zu einem Wandel der intendierten Lernprozesse führen. Obwohl diese Aspekte nicht unabhängig voneinander sind, wirken methodische Neuerungen am unmittelbarsten auf Innovationen in Bildungsorganisationen. Doch auch für didaktische Innovationen gerät Nachhaltigkeit zum abschließenden Charakteristikum, insbesondere die Überführung von Modellvorhaben in die Lehrpraxis.

Allen pädagogisch Aktiven empfiehlt Reinmann-Rothmeier, ihre Expertise nicht nachrangig einzusetzen: also nicht erst mit dem Aufkommen neuer Medien deren didaktisches Potenzial abzuklopfen, sondern bereits vorweg in deren Gestaltung einzugreifen. Während technologische Neuerungen didaktische Innovationen veranlassen können, sollten sie nicht gleich selbst als ebensolche ernannt werden. Umgekehrt bedeutet dies, dass trotz mangelnder didaktischer Innovation nicht jeder technischen Innovation eine Platzierung in der multimedialen Lehre abgerungen werden muss.

Literaturquelle: Reinmann-Rothmeier, Gabi (2003): Didaktische Innovation durch Blended Learning. Leitlinien anhand eines Beispiels aus der Hochschule. Bern: Huber, 7–19